Denn sie wissen es nicht


Rolf hielt unvermittelt an, als er den Blinden sah.
Die schmalen, sensiblen Finger des Mannes glitten über die Blütenkelche der Petunien in den Kästen auf der Kirchenmauer.
"Es sind Petunien", sagte Rolf scheu, als er die Bank erreicht hatte, auf welcher der Blinde saß.
"Ich weiß."
Der Mann wandte Rolf fast unwillig das Gesicht zu.
"Warum sprechen Sie mich an?", fragte er ernst, fast streng.
"Ich weiß nicht", sagte Rolf, "ich ... es erschien mir richtig."
"Aus Mitleid?"
"Nein!" Rolf wünschte sich fort.
"Verzeihen Sie meine Frage", entschuldigte sich der Blinde, "aber es ist selten, dass mich jemand anspricht. Und wenn es geschieht, dann aus Mitleid."
"Ich weiß", sagte Rolf leise.
"Das können Sie nicht wissen. Sie nicht und keiner, der es nicht selbst erfahren hat", brach es heftig aus dem Mann hervor. "Ich bin von Geburt an blind, und im Internat war ich wie alle. Ich war verrückt vor Freude, als ich endlich selbstständig leben konnte und gespannt auf die Leute "draußen", zu denen ich nun gehören sollte. Und dann kam ... dann kam das Mitleid."