Wer ist der Mörder?


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Am nächsten Morgen erschütterte eine Nachricht das ganze Dorf. Der Küster hatte, als er morgens in die Kirche gekommen war, den jungen Kaplan leblos neben dem Weihwasserbecken gefunden. Der eilends herbeigerufene alte Dorfarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Er untersuchte ihn gründlich, konnte aber nichts Auffälliges finden. Der Küster, befragt, ob ihm an dem jungen Mann in letzter Zeit Merkwürdiges aufgefallen sei, antwortete, er sei ihm schon etwas blass vorgekommen, habe auch auf eine diesbezügliche Frage geantwortet, er schlafe  ziemlich schlecht. Der Pfarrer bestätigte diesen Eindruck ebenfalls. Der Arzt nickte, als habe er so etwas vermutet und meinte, der Kaplan habe offensichtlich ein schwaches Herz gehabt. Er habe einen Herzschlag erlitten, das komme auch bei jüngeren Leuten gar nicht so selten vor. Er trug auf dem Totenschein unter Todesursache ein: Herzstillstand. Der Kaplan wurde in sein Heimatdorf überführt und zur letzten Ruhe gebettet. Da in diesen Tagen alle verstört herumliefen, fielen Floras rotgeweinte Augen niemandem besonders auf. Niemandem – außer dem Pfarrer.


Am Tag nach der Beerdigung des Kaplans gab das Verlängerungskabel, das Flora für gewöhnlich zum Bügeln benutzte, den Geist auf. Sie lief zur Kirche hinüber, um das Kabel zu holen, das gelegentlich in großen Messen an hohen Feiertagen für das Mikrophon benützt wurde, doch es war nicht an seinem Platz. Als sie schon fast verzweifeln wollte, fand sie es schließlich ganz hinten im Schrank mit den Messgewändern, und auch dort hätte sie es vermutlich übersehen, wäre es nicht weiß gewesen. Es lugte ein klein wenig über den Rand des hohen alten schwarzen Gummistiefels in der dunklen Schrankecke, der den ausgedienten langen Kerzenlöschern als Ständer diente.


Flora seufzte. Sie würde die Leidenschaft des Pfarrers für all die skurrilen alten Sammelobjekte, die an den unmöglichsten Orten in den merkwürdigsten Behältnissen herumstanden, nie verstehen. Sie hatte nur Arbeit damit, alles sauber zu halten. Flora bückte sich in das Dunkel des Schrankes und zog das Kabel aus dem Schuh. Als sie es bei Licht besah, erstarrte sie.


Aus  dem einen Loch des flachen Dosenteiles ragte ein fingerlanger, hakenförmig gebogener Kupferdraht, so als wollte er etwas Rundes umarmen. Er war auf raffinierte Weise so befestigt, dass er nicht herausrutschen konnte. Es war nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie das andere Ende einsteckte und dann den Draht berührte ...


Flora wurde eiskalt! Sie sah vor ihrem inneren Auge den jungen Kaplan vor der alten kupfernen Weihwasserschale liegen, und plötzlich wusste sie, was mit dem Armen geschehen war. Einem Impuls gehorchend stopfte sie das Kabel wieder in den Stiefel zurück und rannte aus der Sakristei ins Pfarrhaus hoch. Keuchend warf sie sich auf ihr Bett.


Was sollte sie bloß tun? Und sie verstand mit einemmal, weshalb der Pfarrer in ihrer Gegenwart seit dem Tod des Kaplans so verkrampft und verwirrt gewesen war. Er musste etwas gemerkt haben. Oh Gott!


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