Liebe kennte keine Grenzen


Alfred kam nach Hause. Ein langer und anstrengender Tag lag hinter ihm, und mit seinen dreiundsechzig Jahren war er ja auch nicht mehr der Jüngste. Als er müde Mantel und Schuhe auszog, hörte er plötzlich das Summen einer vertrauten Melodie. Eine wohlige Wärme durchströmte sein Herz. Wie viel freundlicher und heller wirkte doch sogleich alles, wenn sie da war.

"Erna, ich bin's", rief er, da sie sein Kommen offensichtlich nicht gehört hatte. Bestimmt ist sie oben und hantiert mit der Wäsche, dachte er und ließ sich im Wohnzimmer in seinen alten, bequemen Sessel fallen. Ganz still saß er und lauschte der Stimme seiner Frau, die jetzt einen Schlager summte aus der Zeit, als sie beide noch jung gewesen waren...

Schwerfällig erhob er sich aus seinem durchgesessenem Sessel und stieg die Treppe hinauf, um nach seiner Frau zu sehen.

"Erna?" Er wandte sich dem gemeinsamen Schlafzimmer zu, aus dem er die Geräusche gehört hatte.

"Erna, warum antwortest du nicht?" In seiner Stimme lag ein leiser Vorwurf. Die Decken auf dem breiten Ehebett lagen noch aufgeschlagen, wie er sie am Morgen verlassen hatte. Erna sah er nicht.

"Erna, wo bist du? Antworte doch!" Vom Schlafzimmer ging er ins Ankleidezimmer, dann ins Bad, sogar in der Toilette suchte er nach ihr. Sein vergebliches Rufen klang von Mal zu Mal verwirrter.

Plötzlich klingelte es an der Haustür. Das war vermutlich Karin, seine Tochter. Seit einiger Zeit hielt sie es für notwendig, einmal am Tag 'nach dem Rechten zu sehen'. Wie wenn Erna und er nicht allein zurechtkämen, dachte er unwillig und stieg die Treppe hinab, um ihr zu öffnen.