Linsengericht


Was haben sie nur mit meinen geliebten Linsen gemacht?! Jämmerlich anzusehen treiben sie mit aufgetriebenen, hellen Bäuchen in grün-brauner Pampe wie tote, kleine Kröten in faulendem Sumpf. Hier und da ein matschig wirkendes, ausgelaugtes Würfelchen, das mit seinem kaum noch erkennbaren, blassen Orange ganz matt signalisiert: "Ich war eine Möhre!" In meine Nase bohrt sich unangenehm ein säuerlicher Geruch. Meine Lider flattern entsetzt. Ich kann gerade noch verhindern, dass sich meine Augen himmelwärts drehen. Ein wenig verlegen schiebe ich die Spätzle hin und her, die in dieser Umgebung wie frisch ausgegrabene Engerlinge wirken. Mittendrin legt sich die Wurst quer, gekleidet in der Farbe alter Damenunterwäsche. Mein Magen meldet leise, aber bestimmt: "Schotten dicht!" Mit verzweifelter Höflichkeit schiebe ich einen Löffel durch den Brei. Bloß nicht so genau drauf schauen!

Mein Gott, ich hab's drin!

Mein Mund meldet entsetzt an die Nase: "Du hattest Recht! Da ist tatsächlich Essig drin!" Keine Spur mehr vom nussigen Geschmack der Hülsenfrüchte. Meine Zähne gleiten mühelos durch ein musiges Möhrenstückchen, das völlig entkräftet keinerlei Widerstand mehr bietet. Die Kehle schlägt sich empört auf die Seite des Magens und schnürt sich entschlossen zu. Bevor auch noch der Mund in aller Öffentlichkeit rebelliert, verdrücke ich mich hastig mit hochrotem Kopf ins Bad. Erst mal alles loswerden und sorgfältig den Mund spülen, dann kann ich drüber nachdenken wie ich das jetzt wohl erkläre. Der Essiggeschmack lässt sich gar nicht so einfach vertreiben. Verschämt klaue ich meinen Gastgebern ein bisschen Zahnpasta. Es ist ja für einen guten Zweck. Während ich so still und pfefferminzig vor mich hinschäume, spüre ich dankbar, wie sich mein Magen ganz vorsichtig wieder entspannt. Aber dass mich die ganze Bande einfach so im Stich gelassen hat nehme ich doch ein wenig übel!



© Evelyne Okonnek
April 2000