Das Kissen


Unschlüssig hielt sie das speckige, kleine Kissen in der Hand. Sie musste es irgendwann waschen. Warum nicht jetzt. Es roch! Widerstrebend legte sie es in den Bauch der Waschmaschine. Schloss die Tür. Sie zögerte, kniete nieder und beobachtete es durch das Bullauge, als hätte sie Angst, es könnte plötzlich um Hilfe schreien. So verlassen in fremder, kalter Umgebung. Schmutzig von unzähligen Umarmungen und Küssen, fleckig geweint. Das Wasser würde langsam steigen, unerbittlich über ihm zusammenschlagen. Es würde hilflos herumwirbeln und hinterher völlig verändert sein. Wie neu, als sei nichts geschehen. Sie würde es verraten, wenn sie es allein ließ! Hastig riss sie die Tür auf, holte das Kissen heraus und drückte es an sich. Grub wie so oft ihr Gesicht hinein, schnüffelte wie ein halb verhungertes Tier auf der Suche nach Nahrung. Wie vertrauensvoll hatte das Köpfchen auf diesem zart geblümten Stoff gelegen. Nein, sein Geruch war längst verschwunden, überdeckt von ihrem eigenen. Quälend langsam wühlte sich der Schmerz aus ihrem Bauch hinauf in den Brustkorb, breitete sich dort aus, drängte würgend nach oben. Biss wütend von unten in ihren verkrampften Kehlkopf und bahnte sich einen Weg ins Freie.

Sie wusste nicht wie lange sie geschrien hatte. Irgendwann spürte sie den kalten Boden unter ihren Knien. Mühsam stand sie auf, massierte ihre eingeschlafenen Beine, schleppte sich ins Wohnzimmer. Das Kissen ließ sie nicht los.

Auch nachts nicht, im großen Ehebett, das längst keines mehr war. Der Schlaf wollte nicht kommen, aber das kannte sie schon. Statt dessen kamen die Erinnerungen. Kleine klebrige Hände, die nach ihr griffen. Glucksendes Lachen, verschwitztes Haar. Die Augen hatte es von ihr. Das hatten alle gesagt und es hatte sie so glücklich gemacht. Sie hatte in diese zwei kleinen Spiegel geschaut und sich darin gesehen. Ihre Zukunft. Die existierte nicht mehr, auch wenn alle sie vom Gegenteil überzeugen wollten. Ihr Mann hatte irgendwann verstanden und war gegangen.

Sie hatte sich verloren in dem kleinen Sarg, unter Efeu und Schneeglöckchen, die das Kind so liebte.



© Evelyne Okonnek
30.08.2002