Leseprobe Nachtwache


Klaas, der Smutje, war nicht gerade ein Hasenfuß.

Aber als er heute vor der Tür des Käpt’n stand, musste er doch erst einmal schlucken, bevor er es wagte anzuklopfen.

„Herein!“

Noch klang Käpt’n Zanges Stimme ganz normal. Aber der Kapitän trug seinen Namen nicht zu Unrecht. Wenn er aufgebracht war, konnte er eisern und unbarmherzig werden. Wer sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, wurde bestraft. Hart, aber gerecht. Gerecht, ja... Aber was war schon die gerechte Strafe für das, was er dem Käpt’n jetzt mitteilen musste?

Klaas atmete noch einmal tief durch, bevor er die Klinke drückte. Er wünschte sich von Herzen, nicht so eine Nachricht überbringen zu müssen. Aber wer sonst als der Smutje sollte dem Kapitän mitteilen, dass der Vorrat an Schiffszwieback langsam zur Neige ging?

Klaas war für den Proviant zuständig. Er hatte dafür gesorgt, dass genug da war für die lange Reise. Er hatte Mausefallen aufgestellt, als er zuerst bemerkte, dass der Zwieback immer weniger wurde, und er hatte die Katze im Vorratsraum eingesperrt. Alles umsonst. Da war keine Maus. Und trotzdem verschwand der Zwieback.

Der Käpt’n wird einsehen, dass es nicht meine Schuld ist, überlegte Klaas, ich habe getan, was ich konnte. Zange ist streng, aber gerecht, und er wird nicht mich bestrafen. Aber was wird er tun? Wird er den Dieb finden? Der tut mir jetzt schon Leid, dachte der Smutje, als er seinem Kapitän gegenüber trat.

Kurze Zeit später schallte ein Ruf über das Schiff:

„Alle Mann an Deck!“

So durchdringend klang Käpt’n Zanges Stimme nur, wenn er außer sich war vor Wut. Keiner seiner Leute wollte noch zusätzlich Zanges Zorn auf sich ziehen, wenn er in dieser Laune war, und so hatte sich in kurzer Zeit die ganze Mannschaft auf dem Oberdeck versammelt.

„Es war keine Maus, die seit Wochen immer wieder den Schiffszwieback annagt! Es ist keine Maus mehr an Bord, der Kater hat sie alle ausgerottet. Also...“

Und nun wurde der Kapitän gefährlich leise:

„Also meldet sich jetzt der Dieb, der seinen Kameraden den Proviant stiehlt, damit ich ihn gebührend bestrafen kann.“

Auf Mundraub stand bei Käpt’n Zange Kielholen. Selbst der alte Jan zitterte. In seinem langen Seemannsleben hatte er diese Strafe schon am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Alle Seeleute standen in einer Reihe. Jeder hoffte, dass der Schuldige sich melden würde. Denn man wusste nicht, was der Käpt’n sonst in seinem Zorn tun würde – hatte er vor, alle zu bestrafen?

„Der Schuldige wird sich melden, und er wird kielgeholt. Wenn er das nicht tut, ist er nicht nur ein gemeiner Dieb, sondern auch noch ein Feigling, der andere für seine Fehler einstehen lässt, denn...“

Hier machte Zange eine bedeutungsvolle Pause –

„... denn in dem Fall wird das Los entscheiden, wer für den Raub zu büßen hat, und der Dieb wird hoffentlich für den Rest seines Lebens vom schlechten Gewissen geplagt, weil er einen unschuldigen Kameraden hat leiden lassen – oder vielleicht sogar sterben.“

„Ich war’s!“, sagte ein leises Stimmchen.

Alle glaubten, sie hätten sich verhört.

Alle hofften, sie hätten sich verhört.

Denn es war die Stimme von Tom, dem Schiffsjungen, dem Jüngsten an Bord, der so begeistert von der Seefahrt war und sie bei ihrer harten Arbeit immer wieder mit einem Lied aufmunterte. Ausgerechnet er, der kleinste, schwächste, der fast noch ein Kind war, sollte so hart bestraft werden. Er tat allen Leid.