Glut unter der Asche


Ich kannte ihren Mann nicht wirklich.
Nur ab und zu ließ er sich im Schankraum sehen und das auch nur, um ein paar bestellte Mahlzeiten auf dem Tresen bereit zu stellen und bei der Gelegenheit unauffällig seinen finsteren Blick über die Gäste schweifen zu lassen.
Vielleicht hatte er dabei immer schon nach einem möglichen Nebenbuhler Ausschau gehalten.
Ich fand diesen vierschrötigen Kerl gräßlich und war daher froh, ihn der Küche beschäftigt zu wissen. Er konnte den besten Salat weit und breit herstellen. Darin waren sich alle Lokalbesucher einig.
Marlies hingegen wieselte durch die Gaststube, emsig bedacht, es den Gästen an nichts fehlen zu lassen. Neben ihrer übertrieben hektisch zur Schau gestellten Geschäftigkeit verstand sie es meisterhaft, noch etliche Schwätzchen zu halten. Ihr Kneipenlächeln saß dann irgendwo in ihrem Gesicht verborgen und fror.
Bis Josef kam. Ausgerechnet Josef!
Dieser heruntergekommene Penner und gnadenlose Säufer! Dieser verlorene Sohn mit seinem verlorenen Lächeln!
Das wärmte ihr mütterliches Herz.
Wie von ungefähr lenkte er nun häufig seine Schritte in ihr Gasthaus, nahm am Stammtisch Platz und unterhielt die wackeren Saufbrüder mit erstaunlichem Witz.
Und wie geschickt er ihr beim Abräumen der Gläser, des Geschirrs und des Bestecks unter die Arme griff. Und auch sonst noch wo hin!
Wie er kleine Reparaturen auszuführen verstand!
Wie er sich mit Rat und Tat zur rechten Hand der Wirtin zu mausern begann.
Wenn er auch nicht immer seine Zeche zahlte, so wuchs doch sein Pluskonto bei Marlies mehr und mehr.
Ihr Mann beobachtete es grimmig schweigend.
Josef, der sich normalerweise an der Tankstelle herumtrieb und dort alle Kunden – ob sie wollten oder nicht – mit seiner Lebensphilosophie beglückte, machte sich nun – hauptberuflich sozusagen - im "Goldenen Hirsch" breit – und unentbehrlich.
Für kleine Handlangerarbeiten, die auch das Betatschen der Wirtin mit einschlossen, hatte er bald Essen und Trinken umsonst. Das wußte allerdings nur Marlies.
Und als er dann auch noch eines der Gästezimmer bezog, mußte sie wahrhaftig gute Argumente gefunden haben, um ihren Mann weiterhin in der Küche zu halten. Sein Salat jedenfalls blieb unübertroffen.
Marlies jedoch erstrahlte neuerdings in einem nie gekannten Glanz. Gerüchte machten die Runde. Marlies und Josef – ein ungleiches Paar. Unmöglich, sowas!
Josef blieb davon unbeeindruckt und weiterhin ungepflegt mit fettigem Zottelhaar, paffte seine Gauloises, trank gar manchen Kumpanen in Grund und Boden und zeigte keine Scheu, Marlies in aller Öffentlichkeit mit zweideutigen Anspielungen die Röte ins Gesicht zu treiben. Sie schien diese – wenn auch etwas ungehobelte – Aufmerksamkeit ohne weiteres zu genießen. Das graue Mäuschen hatte sich in eine ansehnliche Frau verwandelt, die, wenngleich etwas sehr auffällig geschminkt und betont aufreizend gekleidet, dem Vorher – Nachher Test in irgendeiner renommierten Frauenzeitschrift durchaus hätte standhalten können. Irgend jemand mußte sie rundum beraten und erneuert haben.
Ich staunte jedenfalls nicht schlecht, als ich sie in so ungewohnter Aufmachung erleben durfte. Allerdings konnte ich den dröhnenden Glockenschlag einer bösen Vorahnung nicht überhören. Wo kämen wir denn auch hin mit all unseren mühsam anerzogenen Moralvorstellungen. So konnte und durfte es doch nicht weitergehen.
Und so ging es auch nicht weiter!
Der Wirt verließ seine Küche, und das Lokal wurde zum Tollhaus. Gäste stoben in die Nacht, Schreie gellten durch's Haus; der Wilde Westen war ausgebrochen. Sogar die Polizei erschien auf dem Plan.
Das ganze Dorf feixte vor Vergnügen.
Und ich kann nur vom Hörensagen berichten, worüber sich Hinz und Kunz fortan das Maul zerrissen.
Josef war von der Polizei abgeschleppt worden – wer weiß wohin.
Marlies soll vorübergehend mit sehr verweinten, sehr blauen Veilchenaugen herumgelaufen sein, soll wieder in die Unscheinbarkeit zurückmutiert sein, soll sodann ihre Sachen gepackt haben und verschwunden sein.
Ihrem Mann, dem "Goldenen Hirsch" und dem Ort hatte sie den Rücken gekehrt.
Das Lokal öffnete erst wieder, nachdem sie zurückgekommen war.
Der graue Alltag bekam sie wieder in den Griff – Aschenputtel mit einstudiertem Lächeln in freudloser Pflicht – Erfüllung.
Naja - bis der Wirt eines Tages einem plötzlichen Schlaganfall erlag.
Josef soll auch auf der Beerdigung gewesen sein. Und Marlies soll einmal sogar vor sich hingelächelt haben. -
Aber mehr weiß ich wirklich nicht. Auch meine Nachbarn halten sich da raus. Ganz nach dem Motto: Nichts Genaues weiß man nicht.
So oder so!

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