Literat / Bild des Monats 12.2011

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Rote Stiefel

Früher hat mir das nie was ausgemacht, ab September schon Spekulatius, nach Halloween nickende Nikoläuse, Schneekristalle, Lichterketten und immer das Gedudel. Aber wenn ich jetzt irgendwo Jingle Bells höre, zucke ich zusammen. All diese Nikoläuse und Weihnachtsmänner tragen Stiefel und auch die sieht man überall. Rote Stiefel, verdammt.


Angela wünscht sich diese Westernstiefel mit hohem Absatz. Bordeauxrot. Ihr sehnlichster, ihr einziger Weihnachtswunsch dieses Jahr. Sie sind nicht mal allzu teuer, nicht teurer als das iPhone letztes Jahr, nicht mehr als ich sowieso für sie ausgeben würde. Für DVDs, Alben, auch Klamotten, klar. Aber doch nicht solche Stiefel! Kategorisch hab ich das abgelehnt. Ich erkenne meine Tochter nicht wieder. Ich schiebe das auf den Lotti-Einfluss. Angela heißt ja jetzt auch Geli und es gibt Küsschen hier und Küsschen da, sie werfen mit unverständlichen Kürzeln um sich und kichern bedeutungsvoll. Wenn sie nicht zusammen sind, schicken sie SMS hin und her. Wenigstens beim Essen verbitte ich mir das, dann schaut Angela mich an wie ein waidwundes Reh. Ich komme mir vor wie der spießige olle Papa, der ich bisher nie war. Ist nicht immer leicht als alleinerziehender Vater, aber wir sind doch sonst gut miteinander ausgekommen. Und nun das. Wo will sie denn hin staksen mit solchen Stiefeln? Geradewegs auf den Laufsteg? In der Disco Furore machen? Nein, mein Kind. Da kannst du schmollen, meckern, Türen knallen … Na dann, frohe Weihnachten!


Ich komme aber nicht los von dem Problem, jeder Nikolaus erinnert mich an Angelas Wunsch. Inzwischen ja sogar jedes Weihnachtslied, jeder Lebkuchen, jede Kerze – und jeder Engel natürlich.


Ich verliere Angela so oder so. Schenke ich ihr die Stiefel, stöckelt sie damit los, in eine mir unbekannte junge Welt hinaus, die mir Angst macht. Angst um meine Tochter. Und schenke ich sie ihr nicht, bleibt sie böse mit mir und enttäuscht und fühlt sich allein gelassen. Unverstanden.


In diese Welt geht sie sowieso, mit oder ohne Stiefel, mit oder ohne meine Zustimmung.


Ihre Größe gibt es noch. Ich kaufe mir das Leuchten in ihren Augen. Und ein bisschen Dankbarkeit, vielleicht ... Also, fröhliche Weihnachten – Geli!

Heidemarie Köhler