Literat / Bild des Monats 09.2012

Monatsbild

flickr: mueritz

Der fünfte Baum

Vielleicht einer Krankheit erlegen, die sich eingenistet hatte ins Holz, oder vom Alter gefällt, eines Tages lag er da, der alte Baum. Auch die stützenden Stangen, die ihm die Bauersleute unters Geäst geschoben hatten, verzögerten sein Lebensende nur.


Die anderen vier Bäume standen sich von je her näher. Er war immer der Außenseiter gewesen, und, seit er kränkelte, der Ausgeschlossene aus der Gemeinschaft. Selbst nicht mehr so sehr im Saft, lieferten sie doch noch, was man von ihnen verlangte.


Als bemerkt wurde, dass er nicht mehr in der Reihe der anderen stand, sondern ins Gras hingesunken war,  wurde er vom Bauern am Morgen darauf auf den Anhänger des Traktors geladen und heimgeführt. Im Ofen verbrannt würde sein Holz im nächsten Winter die gute Stube wärmen


Den anderen Bäumen fiel sie zuerst gar nicht auf, die Abwesenheit der Vögel. Deren lärmendes Singen hatte sie immer, noch in der Dämmerung, geweckt und auf den Tag eingestimmt. Die Vogelschar hatte sich immer nur in dem Baumwerk des Alten versammelt für die Nacht, wo sie noch lange zwitscherte.


Jetzt blieben sie aus, die Vögel, vielleicht für immer.

Walter Milos