Literat / Bild des Monats 02.2014

Monatsbild

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Der Fleck

Sie war eine penible, putzsüchtige Hausfrau.
Nun könnte man vermuten, sie sei eine unangenehme Person, tratschsüchtig vielleicht oder nachtragend. Weit gefehlt.
Sie war im Gegenteil eine äußerst zuvorkommende, freundliche, hilfsbereite und humorvolle Frau. Sie war gewissermaßen ohne Fehl und Tadel. Ja, genaugenommen war sie sogar perfekt. Und eben das  war ihr Fehler: Sie war zu perfekt, zumindest was ihre Umgebung betraf.
Tag und Nacht war sie am Putzen und Wienern, am Abstauben und Waschen, am Fensterpolieren und Plätten.
So beschäftigt war sie, dass sie sich außerstande sah, soziale Kontakte zu pflegen. Höchstens einen Gruß über die Straße bei der Kehrwoche oder ein gelegentliches Schwätzchen über den Gartenzaun und beim Einkaufen konnte sie sich abringen, dann zog es sie mit unwiderstehlicher Gewalt zurück nach Hause zu Putzeimer, Wischtuch, Salmiakgeist und Scheuerbürste.
Was Wunder, dass sie bei all diesem keine Zeit gefunden hatte, zu heiraten und daher alleine lebte. Ja, der Gedanke an ein männliches Wesen in ihren geheiligten, spiegelblanken Hallen, an Zigarettenasche, schmutzige Unterhosen und leere Bierflaschen jagte ihr solches Entsetzen ein, dass sie ihn weit von sich schob, wann immer er sich ihr aufdrängen wollte.
Doch eines Morgens war alles anders.
Sie entdeckte es am späten Vormittag, als sie eben mit dem vollen Putzeimer aus dem Keller kam, wo sie den Estrich energisch mit dem Schrubber bearbeitet hatte.
Als sie sich auf der letzten Stufe noch einmal umdrehte, um ihr Werk zu begutachten, entdeckte sie den Fleck, einen handtellergroßen ölig schillernden Fleck. Entsetzt sprang sie einige Schritte zurück und rasch,  mit einer fließenden, amöbenhaften  Bewegung, doch ohne die Form zu wechseln, folgte ihr der Fleck.
Der Frau traten die Augen fast aus dem Kopf. Von Grauen geschüttelt ließ sie den Putzeimer fallen, der seinen Inhalt über den Fleck ergoß, welcher seelenruhig durch die Pfütze hindurch der Frau folgte. Wohin auch immer die Frau floh, der Fleck folgte ihr.
Ja selbst, als sie sich in ihrer Verzweiflung in einem Schrank versteckte, troff der Fleck alsbald zum Schlüsselloch herein und machte sich zu ihren Füßen breit. Das war eigentlich alles, was er tat. Er lag der Frau zu Füßen und folgte ihr auf Schritt und Tritt.
Fortan galt die ganze Sorge der Frau dem Bemühen, dem Verfolger zu entkommen, aber was immer sie auch unternahm, sie wurde ihn nicht mehr los. Eines Tages resignierte sie schließlich, und akzeptierte ihn so, wie er war. Da kehrte der Fleck nach Hause zurück, und die Frau fühlte sich wie befreit.
Sie heiratete wenig später und bekam ein Kind, das sich so schmutzig machen durfte wie es wollte. Es war ein rundum glückliches Kind.

Rosemai M. Schmidt