Leseprobe 

IQ


Ich bin Mitglied im Buchclub. Dort bekomme ich Bücher preiswerter als anderswo, das ist vorteilhaft. Wobei ich diese Bücher anderswo gar nicht kaufen würde, im Club muß ich, wenigstens einmal im Quartal. Ich tröste mich mit dem Gedanken, daß Lesen bildet, und außerdem habe ich immerhin schon die Goldene Clubkarte, das verpflichtet.
Es gibt auch Nachteile, vor allem für meinen Geldbeutel, aber es ist ja bekanntlich nichts vollkommen.

Gestern begegnete mir auf dem Weg zum Markt wieder einmal mein Buch-Club-Center.
Einladende Krabbelkisten reckten mir ihre prallgefüllten Bäuche entgegen. An sowas komme ich nie vorbei. Schilder, die verkünden: Zwei Bücher für zehn Mark oder dicke rote Edding-Striche und 50%-Aufschriften ziehen mich magisch an.

Ich begann zu wühlen.

Schließlich stach mir vorne rechts eine Aufschrift ins Auge: IQ-Test de Luxe.
Die Schachtel von der Größe eines Ravensburger Spiels barg eine CD-Rom und versprach die Ermittlung meines IQ-Werts endlich ohne Streß und Manipulation an meinem eigenen PC! 50% reduziert!

Ich weiß, was ich von Tests zu halten habe, besonders von Intelligenz-Tests.
Dennoch spürte ich das bekannte Kribbeln, das bei mir einem Kauf vorauszugehen pflegt, denn wenn es etwas gibt, dem ich noch weniger widerstehen kann als Krabbelkisten, dann ist es ein Test, egal welcher Art und wenn er noch so blöd ist.
Nicht, weil mich das Ergebnis wirklich interessiert, sondern weil man etwas ankreuzen oder ausfüllen kann. Ein leeres Kästchen läßt meinen Begeisterungspegel signifikant hochschnellen, denn man kann es mit einem Häkchen oder Kreuzchen versehen.
Etwas anzustreichen, einzukreisen oder auszufüllen macht mir etwa soviel Spaß wie anderen Leuten ihr Hobby.
Wie also könnte ich einem IQ-Test widerstehen? Dazu noch einem auf CD-Rom!
Und außerdem wäre es ja immerhin möglich festzustellen, daß ich tatsächlich hoch intelligent bin.
Jedenfalls schlug ich zu und trug meine Trophäe zur Kasse. Ich hatte den vagen Eindruck, die Kassiererin schaue mich schon ein klein wenig hochachtungsvoller an als sonst. Nicht jeder kauft einen IQ-Test. Das zeigt ja schon die Tatsache, daß er in der Krabbelkiste war.

Zu Hause installiere ich die CD-Rom und beginne mit der umständlichen Einleitung.
Es gibt Aufgaben, die so schnell wie möglich in vorgegebener Reihenfolge und welche, bei denen möglichst viele Teile erledigt werden müssen.

Die erste zeigt Kreise mit unüberschaubaren Formen im Inneren und Kreisausschnitte, die einander zugeordnet werden sollen.
Kein Problem!
Es flimmert mir zwar etwas vor den Augen dabei, aber der Wissenschaft muß man Opfer bringen.

Weiter!

Ich soll die Anweisungen gut durchlesen. Das ist ja wohl logisch! Sie sind kompliziert, aber schließlich kapiere ich sie.
Ich muß mir Figuren merken, die für die Zahlen 1 – 10 stehen und dann diese kombiniert in Beziehung setzen zu der Summe ihrer Kombinationen.
Kann ich! Eigentlich!
Nur – war jetzt 1 das Quadrat oder der Kreis? Ich will zurück, was aber natürlich nicht geht.
Die Uhr saust und die Zeit drängt.
Ich klicke wild drauflos und hoffe, daß die Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Treffer hoch ist..

Die Zahlenreihen, die man nach einer verborgenen Regel fortsetzen muß, sind leicht, das kenne ich.

Und weiter!

Jetzt wird's kompliziert. Eine wenn, dann – Aufgabe kommt. Wenn manche Blauen rot sind und alle Schwarzen blau, dann sind manche Schwarzen rot – oder so ähnlich.
Das hasse ich.
Ich fange an. Irgendwann habe ich genug und klicke mich einfach durch ohne nachzudenken. Wie schon gesagt: Die Wahrscheinlichkeit ... und eins ist sicher: So schnell hat das noch niemand geschafft.


Bei der nächsten Aufgabe fängt mein Computer an zu ächzen, was ich nicht verstehe. Ich mache doch den Test.
Das lenkt mich so ab, daß ich vergesse, die Instruktion zu lesen.
Ich klicke und habe keine Ahnung, was ich eigentlich mit den komischen Figuren soll. Reihenfolgen soll ich herausfinden und mit Hilfe von ABCD markieren.
Egal, man soll keine Chance vertun, und ich fange mal an.
Erste Aufgabe: Ich entscheide mich für DCBA, das fühlt sich hübsch an. BACD gefällt mir noch besser, es sieht fast aus wie ein Wort. Als ich alle Kombinationsmöglichkeiten durch habe, ist auch die Zeit um.

Als nächstes kommen die Faltfiguren. Die sind gut, die kenne ich schon.
Ha! Jetzt aber!
Wenn A links ist, dann ist es nachher oben und wird also zu 4. A und 4 klicke ich an.
Ich sause im Eiltempo durch und diesmal kapiere ich sogar, was ich tue.

Die Drehformen der folgenden Aufgabe machen mich glücklich.
Herrlich! Kann ich ohne nachzudenken!


Die komischen drei Segmente danach, die nur einer von drei Figuren zugeordnet werden dürfen, mag ich gar nicht. Die fusseligen Striche treiben mir die Tränen in die Augen.

Dann soll ich Bildfolgen der Reihe nach ordnen. Das wäre an und für sich kein Problem, aber die Bildqualität ist so schlecht, daß ich nicht recht erkennen kann, was überhaupt drauf ist.
Wahrscheinlich wird meine Intelligenz daran gemessen, ob ich es trotzdem schaffe.
Ich arbeite wieder nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip und nähere mich langsam dem Ende des Tests, aber das weiß ich da noch nicht.

Die nächste Aufgabe ist unsäglich, ich verstehe gar nichts, aber da ich gern ankreuze, komme ich trotzdem auf meine Kosten.
So! Fertig!
Jetzt bin ich gespannt!

Ergebnis:
Ihr IQ beträgt 105, damit sind Sie ein Mensch mit guter Intelligenz.
Das heißt:
50% aller Menschen sind intelligenter als Sie, 50% weniger intelligent.

Ich bin platt. Von tiefer Ehrfurcht erfüllt starre ich das Ergebnis an.
Es wäre ja schon toll gewesen, zu den paar Prozent höchst Intelligenter zu gehören, aber das hier stellt alles in den Schatten.
Wie hätte ich ahnen können, welchen Schatz ich mir da ins Haus geholt habe?
Hier steht es schwarz auf weiß:
Ich bin die Mitte! Die absolute Mitte! Der Mittelpunkt, um den sich alles dreht!
50% sind intelligenter und 50% weniger intelligent, und dazwischen bin ich!

50+50=100, also 100%. Das sind alle! Die ganze Menschheit!
Da ich weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe gehören kann, denn mehr als 100% wäre mehr als alles, was ja nicht geht, muß ich etwas Besonderes sein.
Das ist klar!
Vielleicht bin ich ja gar kein Mensch!
Eins bin ich aber auf jeden Fall:
Ein Nichts! Ein nicht vorhandenes Etwas zwischen den beiden Hälften von 100%!
Eine prozentuale Null also gewissermaßen.

Ich lehne mich zurück.
Das also war der IQ-Test de Luxe.
Na ja!

Ich komme zu der Erkenntnis, daß ich die Schachtel vielleicht besser in der Kiste gelassen hätte, was ja immerhin einen, wenn auch geringen, Zuwachs an Intelligenz bedeutet.
Insofern hat dieser IQ-Test seinen Zweck erfüllt. Er hat nicht nur meinen IQ gemessen, sondern mich sogar ein bißchen intelligenter gemacht.
Man muß auch mit kleinen Gaben zufrieden sein.

Ich stelle die CD-Rom ins Regal zu meinen fünf anderen IQ-Test-Büchern und schwöre mir, nie wieder einen IQ-Test zu machen.
Obwohl:
Ich könnte ja eigentlich noch kurz ins Internet schauen.
Das kostet ja nichts.


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