LiterArt 2025

Susanne Paradis
Schwalbenschwanz und Regenwurm
Ein Regenwurm,
der bäuchlings auf der Erde kroch,
begegnete ganz unverhofft -
gar voll des Staunens – einer Raupe,
die dick und wohlgenährt des Weges zog
und Bein vor Beinchen setzte.
„Hallo, mein Freund,
woher wohin so eilig, frag ich dich.“
„Zum nächsten Blatt, denn ich muss fressen,
damit ich dereinst fliegen kann
von Blüt zu Blüte.“
Was fliegen sei, das wusste selbst der Wurm
und konnt des Lachens sich
nicht mehr erwehren:
„Was? Du willst fliegen? Du? Du dickes Ding?
Ich hab schon viel gehört,
doch das ist wohl das Blödeste von allem.
Geh fressen, Dummerjan
und stiehl mir nicht die Zeit.“
Mit diesen Worten grub er tief hinab
und hätte pausenlos den Kopf geschüttelt,
hätt er denn solches Körperteil gehabt.
Nach Wochen erst kroch wieder er hinauf
und schaute nach der Raupe aus,
doch sah sie nicht.
Nur über ihm auf einem Ästchen
saß ein Schmetterling
und träumte in der Sonne.
„He, wunderschöner Flatterling,
von oben kannst du besser sehen.
Sag, siehest du die dicke Raupe?
Ich würd gern wissen,
ob sie noch vom Fliegen träumt.“
„Nein, träumen nicht“,
sagte ganz sanft der Schwalbenschwanz
und lächelte verschmitzt.
„So ist sie aufgewacht
und wurde noch vernünftig“,
sprach ganz zufrieden jetzt der Wurm,
„doch sage mir, wo ist sie jetzt?“
„Nun ja, ich würde sagen,
sie ist weggeflogen“,
sagte der Schmetterling und flatterte davon.
Der Wurm war ganz erstarrt und hätt
am liebsten Mund und Augen aufgerissen.
Die Amsel sah er nicht, die ihn sich schnappte
und hoch zum Baume trug,
die junge Brut mit ihm zu füttern.
So kam der Regenwurm
ganz unverhofft zu einem Flug.
Doch mag man zweifeln, ob ihm das gefallen.
Tief unten auf der Wiese
saß der Schmetterling
und träumte vor sich hin.
Rosemai M. Schmidt