Literat / Bild des Monats 11.2004
Weihnachten
Weihnachten Weihnachten suchen wollt' ich geh'n,
fand viele Dinge allenthalben:
Sterne in Fenstern schön und Kerzen zuhauf.
Liedergesang und Tirili Rolltreppen ab, Treppen auf.
Glitzergefunkel und Schimmer und Glanz,
alle Jahre wieder, gar und ganz.
Doch Weihnachten nicht, fand ich nicht.
Da ging ich fragen, die und den,
ob sie denn Weihnachten geseh'n?
"Nein", kam die Antwort, "nichts geseh'n, weitergehn, weitergehn",
und eilten gehetzten Blickes davon.
Ich hörte von ferne noch: "Komme schon, komme schon ...!"
Und ich verstand aus dem irren Rasen,
sie wollten Weihnachten nicht verpassen.
Es wurde dunkel! Die Stadt wurde hell
und alle rannten schnell, nur schnell.
Ich ging nach Haus', verwirrt und stumm,
und fragte verstört: "Warum? Warum?
Soll das Weihnachten sein? Nein!"
Da!
Ganz nah von wo ich wohn' hörte ich einen ganz eigenen Ton.
Ein Lachen, ruhig und satt, wie von wem,
der nur braucht, was er hat.
Unter der Brücke ein Flackerlicht
beleuchtete ein zerfurchtes Gesicht,
einen Hund, eine knollige alte Hand.
Als ich neben dem Manne stand, sah er auf:
"Willkommen", kam's aus dem struppigen Bart,
"bei der Kälte ist das Leben hart für unsereins.
Aber wir machen uns einfach Licht, dann spürt man's fast nicht.
Der Kaufmann hat mir die Kerze geschenkt,
einfach so, und ein Brot.
Hast du ein wenig Zeit, setz dich her,
dann ist das Alleinsein nicht so schwer.
Iß mit uns und erzähl' von dir."
Und er teilte Brot und Wein mit dem Tier und mir.
Unter der Brücke beim Kerzenlicht saßen Viere dicht, ganz dicht
und schwiegen und aßen ohne Hast:
Ein alter Mann, ein räudiger Hund, ich und ein Gast.
Ein Fremder zwar, doch seltsam vertraut.
Unter der Brücke hab' ich die Weihnacht geschaut.
Rosemai M. Schmidt